107. Auktion

19.11.2022

Lot 364

Longines
Ultra-Chron

Überaus seltene, charismatische Schuluhr eines Uhrmacherschülers der Uhrmacherschule La Chaux-de-Fonds - CHRONOMETER - mit großen Gangschein, ausgestellt in La Chaux-de-Fonds am 16. Juni 1972

Verkauft

schätzpreis
1.0003.000 €
Realisierter Preis
2.200 €
Merkmale
Gehäuse
Stahl, Monocoque-Gehäuse, Longines Stiftschließe.
Zifferblatt
Versilbert.
Werk
Automatisch.
Geh.-Nr.15543755
Cal.431
Maße33 x 38 mm
Circa1972
LandSchweiz


Warum ist diese Uhr, die von Longines damals als "The world's most accurate watch" beworben wurde, so wichtig in der Entwicklung der mechanischen Zeitmessung?
Dazu muss man sich die Situation in der Schweizer Uhrenindustrie Ende der 1960er bis weit in die 1970er Jahre vor Augen führen. Im Allgemeinen wird diese Zeit als die Zeit der Quarzkrise bezeichnet. Die Quarzuhr wurde als der neue Heilsbringer gesehen, mechanische Uhren wurden gleichzeitig auf ein neues Niveau gehoben. Parallelen zur heutigen Krise im deutschen Automobilbau sind durchaus zu beobachten. Wie muss man sich die Entwicklung in dieser Zeit vorstellen? Da gab es eine Forschungsabteilung mit Elektrotechnikern für Quarz-Elektrotechnik, um sich für die Zukunft gut aufzustellen und gegenüber Mitbewerbern nicht in das Hintertreffen zu geraten. Gleichzeitig gab es aber noch, vielleicht ein Stockwerk darüber oder darunter, die mechanische Entwicklung mit einer Gruppe hochqualifizierter Konstrukteure und Uhrmacher, die innovativ die klassische Technik weiterentwickelten und die in völlig neue Dimensionen der Ganggenauigkeit vorgestoßen waren. Das Jahr 1967 markierte den Beginn einer neuen Ära: der mit 36000A/h (= 10A/s) schnell schwingenden Uhrwerke. Um auf einfache Art zu demonstrieren, was genau das bedeutet, versuchen Sie einmal, in einer Sekunde auf 5 zu zählen. Das ist gerade noch möglich. Versuchen Sie danach, in einer Sekunde auf 10 zu zählen. Das ist nicht mehr ganz einfach, zeigt aber anschaulich auf, wie schnell die Unruh einer Hochfrequenzuhr schwingt. Der Grund hinter dieser Entwicklung war der Gedanke einer auch bei Erschütterungen genau gehenden Uhr. Konstruktive Details mussten präzisiert werden, wie z.B. ein Gangrad mit 21 anstatt den üblichen 15 Zähnen. Das Uhrwerk benötigte mehr Kraft, also mußte die Aufzugsfeder stärker, und daraus resultierend das Federhaus größer sein. Das Räderwerk stand unter höherer Spannung/Reibung, also war Präzision in der Fertigung höchstes Gebot. Die Schmierung des Uhrwerks war bei dieser Frequenz ebenso ein Problem, welches mit einem neuartigen trockenen Schmiermittel, nämlich Molybdändisulfid gelöst wurde. Die Ultra-Chron war mit einer Anzahl von Uhrwerken mit 42 h Gangreserve ausgestattet. Diese beinhalteten das Kaliber 430 (Zentralsekunde), Kaliber 431 (Zentralsekunde mit Datum), Kaliber 432 (nur Stunde und Minute) sowie Kaliber 433 (nur Datum). Die Datumsfunktion hat keine Schnellschaltung. Der kugelgelagerte bimetallische Rotor zieht in beiden Richtungen auf. Die Glucydur Unruh ist mit einer KIF-Ultraflex Stoßsicherung sowie flacher Nivarox Spirale ausgestattet. Die Zentralsekunde wird indirekt angetrieben. Bei der Vorstellung der Uhr zum 100-jährigen Jubiläum der Firma Longines im Jahr 1967 wurde sie mit einer Abweichung von +/- zwei Sekunden am Tag als die genauest gehende Armbanduhr der Welt gefeiert. Die Erlangung eines Chronometer-Zertifikats war nicht vorgesehen, weil die beworbene Ganggenauigkeit die COSC Spezifikation bei weitem übertreffen sollte. Eine Ausnahme ist hier unsere Uhr, welche der Auslöser für diese Story war. Gefertigt wurde sie von Longines im Jahr 1969 als Referenz 7851 mit Kaliber 431. Dieses spezielle Modell besitzt nämlich sehr wohl ein COSC-Zertifikat, ausgegeben am 16. Juni 1972 vom "Bureaux Suisses De Contrôle Officiel De La Marche Des Chronomètres" in La Chaux-de-Fonds. Was die Geschichte wirklich spannend macht, ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT – DIE LONGINES ULTRA-CHRON ist der Einreicher der Uhr, ein Meisterschüler der Uhrmacherschule Technicum La Chaux-de-Fonds mit dem Namen Yvo Simioni. Offensichtlich war seine Idee, die zu dieser Zeit als "genauest gehende Uhr der Welt" nochmals zu verbessern. Er brachte es bemerkenswerterweise zu einer mittleren Gangabweichung von 0,6 Sekunden und der Bewertung "Especially good results" auf dem Zertifikat. Wir haben es hier also gewissermaßen mit einer "getunten Rennversion" der Ultra-Chron zu tun. Die Ultra-Chron wurde für circa 8 Jahre mit einer großen Vielfalt von Gehäuseformen und Materialien produziert, denen die exaltierten 1970er Jahre oftmals anzusehen sind. Wenn man in Betracht zieht, mit welchem Aufwand die Longines Ultra-Chron entwickelt wurde, welche Präzision die Uhrwerke aufweisen, und mit welch beeindruckenden faszinierenden technischen Lösungen die Uhrwerke ausgestattet waren, sind die heutigen Preise am Vintage Markt als grob unterschätzt zu bezeichnen. Ein gutes Exemplar in Stahl ist schon ab 1500 Euro zu finden. Ohne Zweifel stellen die Hochfrequenz-Uhrwerke dieser Zeit den Höhepunkt der damaligen mechanischen Entwicklung dar.
Quelle: ChronoHype Magazin Nr. 8