106. Auktion
21.5.2022
Lot 192
Victor Fleury, Horloger de la Marine
Technisch höchst interessante Experimental-Tischuhr mit Sekundensprung, Remontoir und einer freien Hemmung nach Victor Fleury
Victor Fleury gehört zweifellos zu den wichtigsten Pariser Uhrmachern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er war ansässig in der Rue de la Paix 23 in Paris und warb mit dem Titel "Horloger de la Marine". Bekannt ist er vor allem durch seine Forschungen und die daraus resultierende Entwicklung einer neuen freien Hemmung, die eine Ganggenauigkeit bei Tischuhren mit Halbsekundenpendel gewährleisten sollte, die den Ergebnissen von Sekundenpendeluhren entsprach. In einem Artikel für das Horological Journal "The Pendulum applied to Clockwork" aus dem Jahr 1866 beschreibt er die Zusammenhänge zwischen Pendellänge, Einflüssen der Schwerkraft und "freien" Pendeln ( "I also call a free pendulum, one applied to clockwork, and which after having received the impulse achieves freely and without mechanical contact the reminder of its oscillation"). Ein Ergebnis dieser Forschungen stellt die bei uns angebotene Uhr dar, deren komplexes Hemmungssystem diesen Beschreibungen entspricht. Die französische Revue Chronometrique berichtet 1867 über die Weltausstellung in Paris. In einem umfangreichen Beitrag wird explizit über Victor Fleury und seine ausgestellten Uhren berichtet, mit dem Schwerpunkt der Beschreibung seines damals neuartigen "Echappement Fleury". Ergänzt wird der Artikel durch zahlreiche Konstruktionszeichnungen und dem Hinweis, dass falls dem geneigten Leser diese Ausführungen nicht genügen würden, er auf eine von Victor Fleury herausgegebene Broschüre zurückgreifen könne, in der dieser seine Studien zur Hemmung nochmals ausführlich darlegt.
Er war auch der Autor des 1865 in Paris erschienenen Buches "Nouveaux principes sur le pendule appliqué à l'horlogerie". Gegen Ende seiner Karriere scheint er Paris verlassen zu haben; so trug eine Uhr mit Goldgehäuse, die in Angers von Victor Fleury signiert wurde und auf dem Pariser Kunstmarkt zum Verkauf stand, die Anmerkung: "médailles aux grandes expositions jusqu'en 1867" (Medaillen bei großen Ausstellungen bis 1867).
Die vorliegende Tischuhr ruht auf einem schwarzen Holzsockel mit vier filigranen, gedrehten Säulen. Sie ist eines der seltenen Stücke mit Fleurys eigener Hemmung, die unter dem technisch anmutenden Glasgehäuse schön in ihrer Bewegung beobachtet werden kann. Auf der Außenseite der Rückplatine sitzt das kleine Hemmungsrad mit 10 Stiften, in das der bewegliche Teil der "Ankergabel" eingreift, was aber nur für die eine Richtung der Pendelschwingung wirkt. Im Sekundentakt wird andererseits auf der Innenseite der Platine mit einem langen Hebel das Räderwerk freigegeben; eine schlanke Wippe dreht sich um 180 Grad und wird vom zurückschwingenden Pendel wieder aufgehalten. Die Feinstellung, die mittels Schraube die Pendelfeder hebt und senkt, und die polierten Schrauben mit den kugelförmigen Köpfen machen das vergoldete Werk auch zu einem optischen Highlight.