109. Auktion

18.11.2023

Lot 61

Abraham-Louis Breguet
Garde Temps

Bedeutendes, museales Expeditions-Taschenchronometer mit Regulatorzifferblatt und Arnolds Federchronometerhemmung, gefertigt in bester Werksausführung "Garde Temps" und verkauft im Jahre 1805 an den berühmten Wissenschaftler Baron Alexander von Humboldt (1769-1859) für 960 Francs mit Breguet Zertifikat Nr. 4779

Verkauft

schätzpreis
120.000200.000 €
Realisierter Preis
196.300 €
Merkmale
Gehäuse
Silber, Gehäuseform "Collier", Gehäuse von Tavernier (No. 470).
Zifferblatt
Emailzifferblatt von Borel (No. 15), dezentraler Stundenziffernring mit Breguet Zahlen bei "6", kleine Sekunde bei "12", zentraler Minutenzähler, signiert: "Breguet 15", gebläute Breguet-Zeiger.
Werk
3/4-Platinenwerk, Messing, vergoldet, signiert Breguet No. 147, Kette/Schnecke mit invertierter Schnecke, Federchronometerhemmung nach John Arnold, dreiarmige bimetallische Komp.-Unruh mit Goldschrauben, freischwingende, gebläute, zylindrische Unruhspirale mit beidseitigen Endkurven, Stoßsicherung-"Parachute".
Geh.-Nr.147 / Tavernier No. 470
Cal.24''
Maße61 mm
Circa1791/1805
LandFrankreich
Gewicht181 g


Humboldts Chronometer
Das andere Ufer war im Dunst kaum zu erkennen. Die Wolga war hier weit über einen Kilometer breit und einheimische Schiffer hatten ihm versichert, in dieser Region hätte der Fluss eine für diese Jahreszeit mittlere Breite. Jetzt wollten sie eine geeignete Stelle suchen, um mittels einer Messkette zwischen zwei Bäumen auf dem hiesigen Ufer und einem Sextanten die Breite genau vermessen. Sie waren schon in Kasan, immerhin fast 800 km von Moskau entfernt - das Tempo auf dieser Expedition war wirklich erstaunlich.
Humboldt nahm sein Tagebuch zur Hand. Erstmal der Eintrag einiger Werte - seine beiden Uhren liefen immer etwas auseinander. Schon früher hatte er notiert: "Chron. bleiben durch Fahren zurück."
Wieder einmal mühte er sich mit dem viel zu kleinen Sekundenzeiger seines Breguet-Chronometers; die Augen waren mit seinen 60 Jahren nicht mehr so gut wie damals in Südamerika. Sein geliebter Earnshaw war wirklich einfacher abzulesen.

Beobachtungen, Messungen und Experimente, wenn nötig an ihm selbst - das waren für Alexander von Humboldt die Fundamente seiner Wissenschaft. Das systematische Erfassen alles dessen, was er auf seinen legendären Reisen sah, wurde ihm zur Grundlage seiner Forschung, die ihm den Ruf des "größten Naturforschers seiner Zeit" einbrachte. Nur auf der Basis gesicherter Fakten konnte er Zusammenhänge erkennen, die ihn früh zu der Einsicht brachten: "Alles ist Wechselwirkung".
Und für präzises Messen benötigt man gute Instrumente. In diesem Punkt gab es für Humboldt keine Kompromisse. Mit großer Leidenschaft war er stets auf der Suche nach den modernsten und genauesten Messinstrumenten seiner Zeit. Inklinatorium, Deklinatorium, Eudiometer, Aräometer, Hyetometer, Elektrometer, Cyanometer, Hygrometer, Barometer und Thermometer waren an Bord, als die Fregatte Pizarro in Juni 1799 in La Coruña Richtung Amerika ablegte. Aber natürlich auch Teleskope, Sextanten, Quadranten, ein Taschenchronometer von Johann Heinrich Seyffert aus Dresden und ein als Längenuhr bezeichnetes Chronometer von Louis Berthoud in Paris (No. 27), das als mit Abstand teuerstes Gerät aufgeführt wurde und dessen Verbleib leider unbekannt ist.
Humboldt war ein meisterhafter Navigator und es finden sich viele Stellen in seinen Tagebüchern, in denen er über seine für die Positionsberechnung unerlässlichen Chronometer schreibt: "Die Steuerleute verließen sich mehr auf das Log als auf den Gang eines Chronometers; sie lächelten zu der Behauptung, daß bald Land in Sicht kommen müsse, und glaubten, man habe noch zwei bis drei Tage zu fahren. Es gereichte mir daher zu großer Befriedigung, als ich am dreizehnten gegen sechs Uhr Morgens hörte, man sehe von den Masten aus ein sehr hohes Land …".
Genaue Zeitmessung war das große Thema der vergangenen Jahrzehnte gewesen, die Bestimmung des Längengrads für die Navigation auf See Gegenstand bedeutender nationaler Institutionen - das Londoner Board of Longitude und das Pariser Bureau des Longitudes sind heute noch ein Begriff für jeden, der sich ein wenig mit der Entwicklung der Uhrmacherei in dieser Epoche beschäftigt.
Doch für Humboldt genauso wichtig war natürlich die Bestimmung der geographischen Position auf seinen Expeditionen an Land. Die Hersteller seiner Chronometer waren dementsprechend prominent neben den erwähnten Berthoud, Seyffert, Earnshaw und Breguet besaß er auch ein Taschenchronometer von Kessels im (damals dänischen) Altona, das ihm der dänische König Frederik VI. geschenkt hatte (und das heute im Deutschen Technikmuseum in Berlin zu bewundern ist).
In einem Brief dazu schrieb Humboldt: " … ich weiß, wie vortrefflich die Kesselschen Taschen-Chronometer sind. Meine einzige Bitte geht dahin, daß meiner alternden Augen wegen die Secunden-Abtheilung etwas groß sei. Den Secundenzeiger der Breguetischen Taschenchronometer finde ich unerträglich klein, und der Chronometer von Louis Berthoud, dessen ich mich auf der amerikanischen Reise bediente, mit emaillenen (nicht metallischen) Ziffernblatt und großen Secunden-Zeiger war mir sehr angenehm."
In früheren Jahren und mit noch scharfem Blick war er jedoch überzeugt von der Qualität der Breguet'schen Werke. Das Breguet-Archiv weist eine ganze Reihe von Uhren aus, die an Monsieur de Humboldt verkauft wurden:
- No. 144 von 1806, die erst einen anderen Besitzer hatte und 1818 von Humboldt für 1000 Fr. gekauft wurde
- No. 147 von 1805 für 960 Fr.
- No. 1337 von 1804 für 1000 Fr.
- No. 1600 von 1804
- No. 3719 von 1823 für 2400 Fr.
Über die No. 147 wird noch zu sprechen sein.
Es ist selbstverständlich, dass Alexander von Humboldt wusste, wie wichtig seine Instrumente für ihn waren, zumal sie nicht nur teuer, sondern auf Reisen auch nicht zu ersetzen waren. Das galt natürlich auch für seine Uhren - die erste Seite des Russland-Tagebuchs besteht nur aus den Worten: Chro[no]meter Earnshaw.
Daher kann man vielleicht erahnen, was er von diesem Detail eines heute berühmten Bildes gehalten hat:
Liegen doch hier die teuren Uhren zu seinem Füßen mit allerlei Krimskrams auf dem südamerikanischen Boden! "Lieben Sie nicht auch", schreibt er an anderer Stelle, "daß das Gehäuse so verschlossen werde von dem Künstler selbst, daß es nur durch mehrere Schrauben zu öffnen sei. Man geräth dann nie in Versuchung, zu öffnen, und eine so dichte Verschließung ist eine große Sicherheit gegen den Staub". Undenkbar, dass Humboldts Chronometer auf der bloßen Erde liegen! Und nicht nur daran wird er sich gestoßen haben, sondern beispielsweise auch an dem Spielzeugmikroskop rechts auf dem Tisch und an der ganzen unordentlichen Szenerie, mit der so nennt es Tobias Kraft von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften - "ein bißchen dahingelümmelten" Gestalt des Forschers.
Dessen Maler Eduard Ender wollte sein Bild dem Preußischen König Friedrich Wilhelm IV. verkaufen. Gefragt, was er davon halte, beschied Humboldt, dem die ganze Darstellung ein einziges Ärgernis gewesen sein muss, ziemlich deutlich: Lassen Sie die Finger davon.
Dass das Gemälde "Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland in der Urwaldhütte" dann doch nahezu unvermeidlich mit dem Namen Humboldt verbunden ist, konnte er dadurch leider nicht verhindern.
Zurück zur Breguet No. 147:
Humboldt kaufte diese Garde Temps im Silbergehäuse im Jahr 1805, also erst nach seiner Amerika-Reise, bei Breguet in Paris für 960 Francs und behielt sie über Jahrzehnte, denn 1827 brachte er sie zur Überholung wieder zu Breguet. In George Daniels Klassiker "The Art of Breguet" ist selbstverständlich auch die No. 147 auf Seite 160 zu finden. Wie Daniels schreibt, wurde sie von Breguet bereits um 1791 begonnen, aber erst um 1805 fertiggestellt: "Ihr reines Design und ihre Funktion sind in den 1780er Jahren für Breguets Kundschaft, die im Allgemeinen, wie es ihrer Lebensweise entspricht, etwas Unterhaltsameres bevorzugt, nicht von Interesse. Breguet stellt die Produktion dieser Uhren vor der Serie der perpetuelles von 1787 ein und vollendet sie erst nach 1794, als der Wiederaufschwung der wissenschaftlichen Tätigkeit nach der Revolution ihre Einsatzmöglichkeiten besser zur Geltung bringt. Sie sind Breguets erster Vorstoß in den Bereich der reinen Präzisionsuhrmacherei, der in den 1780er Jahren von der englischen Schule dominiert wird. Sein radikaler Ansatz bei der Konstruktion dieser Uhren führte zur Einführung der Dreiviertelplatine, bei der sich die Unruh unterhalb der Platine befindet, mindestens dreißig Jahre bevor sie von den englischen Herstellern übernommen wurde. Ihr unverwechselbares und elegantes Aussehen ist ebenfalls ganz dem Einfluss Breguets zu verdanken und hat nichts mit den englischen Taschenchronometern jener Zeit gemein." Die Nummerierung dieser frühen Präzisionschronometer ist bisweilen in den Büchern nicht eindeutig nachvollziehbar und es ist möglich, dass Breguet diese Werke schon zu einer Zeit fertigte, da er vielleicht bei Berthoud in Paris arbeitete.
Nachdem diese Uhr 1991 in der Schweiz für über 280.000 Sfr. verkauft wurde, wechselt sie wohl nun nach über 30 Jahren zum ersten Mal wieder den Besitzer.
Das 181 g schwere Taschen-Chronometer mit Arnolds Federchronometerhemmung in einem Silbergehäuse von Tavernier (No. 470) und mit einem Emaille-Zifferblatt von Borel (No. 15) befindet sich in hervorragendem Zustand; er zeugt noch heute von der großen Wertschätzung, die der Wissenschaftler Alexander von Humboldt vor 200 Jahren seinen Messinstrumenten entgegenbrachte.
Quellen:
Gerhard Kortum: Humboldt der Seefahrer und sein Marinechronometer.
George Daniels: The Art of Breguet
edition humboldt digital: www.edition-humboldt.de
Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt
Wikipedia
und auch: ChatGPT für den Lebenslauf


Alexander von Humboldt (1769-1859) war ein herausragender deutscher Naturforscher und Universalgelehrter des 19. Jahrhunderts. Seine bahnbrechenden Expeditionen und Forschungen brachten ihm weltweite Anerkennung. Bekannt ist seine Reise nach Lateinamerika (1799-1804), wo er die Flora, Fauna und Geologie erforschte. Im Jahr 1829 unternahm er auch eine bedeutende Expedition nach Russland. Humboldt war ein Vorreiter der Naturgeografie und betonte die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Verständnisses der Natur. Sein umfangreiches Werk "Kosmos" vereinte Wissen über die Natur und das Universum. Seine Erkenntnisse revolutionierten die Naturwissenschaften und die Kartografie. Humboldts Vermächtnis erstreckt sich über die Gründung der modernen Umweltforschung und Geografie hinaus. Er inspirierte nachfolgende Generationen von Wissenschaftlern durch seine interdisziplinäre Herangehensweise und seine Leidenschaft für die Natur. Alexander von Humboldt bleibt eine der herausragenden Persönlichkeiten der wissenschaftlichen Weltgeschichte.